Buchtipp: Die Darm-Hirn-Connection

Buchtipp: Die Darm-Hirn-Connection

Ernährung

Ein spannendes Interview mit dem Autor Prof. Dr. Gregor Hasler und Dr. Kupferberg

Die Darm-Hirn-Connection - Der Darm ist als Gesprächsthema salonfähig geworden: Laktoseintoleranz, Gluten-Unverträglichkeit und Blähungen treiben uns um. Das Thema birgt aber noch viel mehr Potenzial und geht über das körperliche Befinden hinaus: Das Mikrobiom im Darm ist der Schlüssel zu unserem Glück!
Co-Autorin Dr. Alexandra Kupferberg und Prof. Dr. Gregor Hasler im Gespräch.
Co-Autorin Dr. Alexandra Kupferberg und Prof. Dr. Gregor Hasler im Gespräch.

Während unseres Interviews mit Prof. Gregor Hasler werden wir durch einen Anruf von seiner Frau unterbrochen. Die hübsche Süditalienerin ist Mutter von zwei Kindern und kocht für ihr Leben gern. Gerade möchte sie wissen, mit welchem Gericht sie ihren Mann heute Abend beglücken darf. Gregor Hasler gibt zu, dass er gern Nudeln ist. Und da ist seine Frau natürlich die beste Expertin. In seinem neuen Buch „Die Hirn-Darm-Connection: Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit“ beschreibt er unter anderem das Gericht „Pasta e Fagioli“, also Nudeln mit Bohnen. Der Name klingt nicht besonders lecker. Kein Wunder, dass man diese Suppe nicht in allen italienischen Restaurants findet „Pasta e Fagioli“ ist ein Armeleuteessen, ganz einfach zubereitet, aber es schmeckt gut und ist gesund, behauptet Gregor lachend. 

Prof. Dr. med. Gregor Hasler
Psychiater, Psychotherapeut, Neurowissenschaftler, Chefarzt Universitätsklinikum Fribourg

Prof. Dr. med. Gregor Hasler ist Psychiater, Psychotherapeut und Neurowissenschaftler. Er ist ordentlicher Professor für Psychiatrie und Psychotherapie und ist gleichzeitig als Chefarzt am Universitätsklinikum Fribourg tätig. Neben seiner klinischen Arbeit forscht er gleich mit mehreren Methoden und leitet viele medizinische Studien. Mit Kernspintomographie, Positronen-Emissions-Tomographie und Elektroenzephalographie verschafft er sich Einblicke in das Gehirn von Menschen mit stress-abhängigen psychischen Störungen wie Depressionen oder Bulimie, mentalen Störungen wie Autismus oder mit Jugendlichen mit kriminellem Hintergrund.  Und weil es ihm nicht genug ist, engagiert er sich für die Vermittlung von medizinisch-psychologischem Fachwissen. So hält er Vorträge zu Gesundheitsthemen an nationalen und internationalen Veranstaltungen, wie am Präventionstag des Kantons Zürich, am Swiss eHealth Forum oder an den Schweizer Gesundheitstagen etc. Auch liest man über seine Arbeit hin und wieder in der NZZ, der Süddeutschen Zeitung, der FAZ, dem Beobachter oder dem Tagesanzeiger, wo er im Zusammenhang mit Gehörtraining zitiert wird. In 2008 wurde er mit dem wichtigsten Hirnforschungspreis (Robert-Bing-Preis) der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften ausgezeichnet.

Doch wer steck hinter der Person Gregor Hasler? Hasler wuchs in der schönen Stadt Luzern auf. Für sein Medizinstudium kam er nach Zürich, wo er nach der Promotion als Assistenzarzt an der Medizinischen Klinik des Spitals Zollikerberg arbeitete. An der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hohenegg in Meilen absolvierte er seine Fachausbildung zum Psychiater und Psychotherapeuten und untersuchte am National Institute of Mental Health in Bethesda (Maryland) den Einfluss von Stress auf die psychische und körperliche Gesundheit, wie zum Beispiel im Fall der Bulimie. Bereits damals interessierte er sich für den Darm, Gewicht und Diabetes. Während seiner Tätigkeit als außerordentlicher Professor für Psychiatrische Versorgungsforschung und Chefarzt der Sozialen Psychiatrie an den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern hat er zusammen mit seiner Postdoktorandin und der Leiterin des Koj Hearing Research Centers Dr. Alexandra Kupferberg das Sozialverhalten von depressiven Patienten untersucht. Dabei ist den beiden Forschern aufgefallen, dass viele depressive Patienten Probleme mit der Verdauung hatten. Gregor und Alexandra vermuteten, dass bei manchen Patienten ein Zusammenhang zwischen Darm und Psyche besteht, und fingen an, sich durch wissenschaftliche Artikel und auf medizinischen Kongressen über die Darmbakterien zu informieren.  So haben sie angefangen, an dem Buch „Die Darm-Hirn-Connection: Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit“ zusammen zu arbeiten. Dieses Buch gewährt Einblick in das Zusammenspiel zwischen Darm und Gehirn auf eine allgemeinverständliche Weise. In einem Interview mit seiner Kollegin Frau Kupferberg beantwortet Gregor Hasler Fragen zu seinem Leben, seinem Buch und seiner Forschung. 

Alexandra Kupferberg: Gregor, wie kamst du auf die Idee, ein Buch über die Darm-Hirn-Connection zu schreiben? 

Gregor Hasler: Bereits nach meiner Doktorarbeit ist mir aufgefallen, dass viele psychiatrische Patienten Probleme mit der Verdauung hatten. Oft hat man diese Patienten einfach mit dem Begriff „dysfunktionale Beschwerden“ abgestempelt. Manchmal wurden sie sogar als Simulanten dahingestellt, weil niemand ihnen eine sinnvolle Erklärung für ihr Leiden geben konnte. Die Gastroenterologen behaupteten: „Du hast nichts“ und die Psychiater vermuteten: „Es kommt alles aus dem Kopf.“ Diese Patienten waren sehr unglücklich, und ich hatte das Gefühl, dass ich ihnen helfen muss. Heute weiß ich, dass meine Intuition mich damals nicht getäuscht hat: Hinweise auf die Verbindung von Darm und Gehirn wurden bis jetzt fast bei jeder psychiatrischen Krankheit gezeigt. Als Professor ist es ja üblich, dass man Lehrbücher schreibt, aber unter uns gesagt: Es gibt bereits sehr viele gute Lehrbücher und wissenschaftliche Artikel und es hat mich etwas gelangweilt, ein neues zu schreiben. Aber was ich wirklich wichtig finde, ist, dass in der modernen digitalen Welt die Patienten über ihre Behandlung immer mehr selbst bestimmen wollen und auch können. Ich habe nicht selten erlebt, dass sie in einer Arztpraxis oft überfordert werden. So habe ich gesehen, dass Wissensbedarf vor allem beim Einfluss von Ernährung nicht nur auf körperliche, sondern auch auf die geistige Fitness besteht. So wurde die Idee geboren, ein wissenschaftlich fundiertes, aber einfach verständliches Buch für die Allgemeinbevölkerung zu schreiben. Da ich bei meinem ersten Buch das Schreiben als eine etwas einsame Angelegenheit empfunden habe, habe ich dieses Mal neben Alexandra Kupferberg auch andere Koautorinnen wie Dr. Sigrid Breit, Dr. Claudia Bakai und Dr. Sarah Steinau herbeigezogen. Zum einen haben sie viele neue Ideen mitgebraucht und zum anderen, wie man so schön sagt: Vier Augen sehen mehr als zwei. Und mehr Spaß hat es natürlich auch gemacht.

Es gibt viele Bücher zum Darm und Gehirn. Warum sollte man ausgerechnet dein Buch lesen?

Das stimmt – es gibt tatsächlich viele gute Bücher zum Thema Darm. Jede Woche werden außerdem neue wissenschaftliche Befunde zu der Verbindung von Darm und Gehirn publiziert. Deswegen war es mir auch ganz wichtig, dass in meinem Buch vor allem die neusten Erkenntnisse aus der Forschung berichtet werden. Außerdem ist es oft so, dass Bücher von Forschern geschrieben werden. Ich selbst bin klinisch tätig und profitiere von vieljähriger praktischer Erfahrung – daher kann ich anhand von Patientenbeispielen sagen, welche Therapien besser und welche schlechter funktionieren. Zuletzt sind wir uns ja darüber einig, dass sich jeder für die Ernährung interessiert – schlicht und einfach, weil jeder von uns etwas essen muss. Über die Ernährung existieren aber gleichzeitig viele Mythen, und jeder Experte beharrt auf seiner Meinung, auch wenn die Meinungen oft sehr stark auseinandergehen. Daher kann ich jedem empfehlen, das Buch zu lesen, um sich über den neuesten Stand der Ernährungsforschung und der Medizin zu informieren. Hinzu kommt auch meine persönliche Erfahrung. Als ich klein war, hatte ich auch immer wieder mal Beschwerden wegen meines Darms, und meine Mutter war sehr um mich besorgt und versuchte, mich mit unterschiedlichen Mitteln zu behandeln. Beim Schreiben dieses Buches hat sie meine Kindheitserinnerung wachgerüttelt und half mir außerdem dabei, zu verstehen, welche Themen für einen Laien am meisten interessant sind. Als Deutschlehrerin hat sich das Buch auch kritisch durchgelesen und korrigiert. So hat das Schreiben dieses Buches auch indirekt die Familie gestärkt, was mich besonders freut. Ich muss zugeben, dass ich selbst bei Nachforschungen für dieses Buch sehr viel gelernt habe. Und eigentlich möchte ich auch weiter lernen. Deswegen bin auch dankbar, wenn die Leser von meinem Buch mit mir Kontakt aufnehmen, und mir über ihre Erfahrungen berichten oder mir Fragen stellen, damit ich weiß, was sie interessiert.

Was hast du selbst über die Ernährung beim Schreiben deines Buches gelernt?

Ich habe mich immer gefragt, wie man sich richtig ernähren soll. Sind Pasta und Schokolade schlecht? Beim Schreiben dieses Buchs bin ich immer wieder zu der Erkenntnis gekommen, dass es nicht auf die Lebensmittel an sich, sondern auf die richtige Kombination ankommt. Bei der italienischen Küche wird das besonders deutlich: Zum Beispiel ist die Kombination von Tomaten, Mozzarella und Basilikum viel gesünder, als wenn man diese Lebensmittel getrennt essen würde. Aber ich möchte nicht alles verraten: Dazu kann man mehr im Buch lesen. Kurz gesagt ist die Ausgewogenheit in der Ernährung wohl das Wichtigste. Ich bin eigentlich kein Verfechter bestimmter Diäten, aber was mich überzeugt hat, ist die Paleo-Diät. In dieser Diät darf man vor allem das unbeschwert essen, was in der Steinzeit gejagt und gesammelt wurde: zum Beispiel Fleisch, Fisch, Eier, Gemüse, Obst, Beeren, Pilze, Nüsse und Samen. Ich kann empfehlen, einen gewissen Anteil an Kohlenhydraten in der täglichen Ration nicht zu überschreiten: Es ist zum Beispiel auch bekannt, dass sehr viel Zucker zu Depressionen führen kann. Da manche Menschen dazu neigen, bei schlechter Stimmung noch mehr Süßigkeiten zu essen, ergibt sich dadurch ein Teufelskreis.

Was macht dir in deiner Tätigkeit und privat am meisten Spass?

In erster Linie ist es der Patientenkontakt. Ich spiele ganz gern den Detektiv, wenn es darum geht, herauszufinden, was dem Patienten fehlt und wie ich ihm helfen kann. Und natürlich steht die Forschung ganz oben auf der Liste der Dinge, die mich motivieren. Es fordert mich heraus, die Fragestellungen zu formulieren und sie systematisch zu untersuchen. Privat lese ich für mein Leben gern, vor allem wissenschaftlich fundierte Bücher. Ein Buch, das mich in der letzten Zeit ziemlich beeindruckt hat ist Noah Hararis „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Außerdem hat mich auch immer die Evolutionspsychiatrie interessiert. Da kann ich das Buch „Good Reasons for Bad Feelings: Insights from the Frontier of Evolutionary Psychiatry” von   Randolph Nesse sehr empfehlen. Ein Autor der mich auch überzeugt ist Schopenhauer. Ich weiß, man sagt, er ist ein Pessimist, aber ich habe das Gefühl, dass er auch viel von psychischer Gesundheit versteht, und würde da sein Buch „Aphorismen zur Lebensweisheit“ empfehlen. Ich lese aber auch gern Romane, wobei Tolstois „Krieg und Frieden“ zu meinen Lieblingsromanen zählt.

Wenn du in 3 Wörtern deine Persönlichkeit beschreiben würdest, welche wären das?

Das ist eine interessante Frage. Als ich mal bei einem Management-Kurs war, musste ich alle meine Freunde und Kollegen anrufen und sie fragen, wie sich mich erlebt haben. Was ich dabei sehr oft gesagt bekommen habe, ist, dass ich motivierend wirke. Das freut mich natürlich besonders als Psychiater, und ich hoffe natürlich, dass meine Bücher viele Menschen dazu motivieren werden, etwas an ihrem Leben zu verändern. Aber ich bin auch ein ungeduldiger Mensch. Ich habe oft das Gefühl, es muss alles viel schneller gehen, und manchmal muss ich mich da wirklich etwas bremsen. Außerdem ist für mich Ausdauer charakteristisch. Denn diese braucht man nicht nur in der Forschung, sondern auch beim Schreiben der Bücher oder beim Betreuen von langen und komplexen Projekten. Und bin stolz darauf, dass ich meine Projekte immer zu Ende führe. 

Und das kann ich bestätigen, den unter deiner Supervision ist es mir endlich gelungen, die Ergebnisse meiner Doktorarbeit, die ich Jahre davor in München durchgeführt habe, in einer hochkarätigen Zeitschrift zu publizieren. Und natürlich freue mich auch dafür, dich für das exklusive Forschungsteam des Koj Hearing Research Center gewonnen zu haben. Denn zugegebenermaßen warst du ja derjenige, der uns für diese groß angelegte und komplexe Studie motiviert hat und sie nun schon seit mehr als 2 Jahren begleitet. Und von deiner Ungeduld profitieren wir natürlich auch, denn diese motiviert uns, schnell Entscheidungen zu treffen. Aber wie geht es nun mit deiner eigenen Forschung weiter?

Wir sind weiterhin daran interessiert, zu untersuchen, wie psychische Erkrankungen mit dem Darm und der Ernährung zusammenhängen. Dabei verwenden wir bildgebende Methoden und erheben gleichzeitig Stuhlproben von Jugendlichen mit depressiven Symptomen. Wir wollen dadurch herausfinden, ob sich Depressionen und Angststörungen bereits im Anfangsstadium im Darm bemerkbar machen. Wir überprüfen auch, welchen Effekt die Ernährung und die sozialen Faktoren wie Freundeskreis und sozialer Status auf die Psyche haben. Ich bin froh darüber, dass ich bei meiner Forschung von der UPD Bern, der Abteilung von Neuroradiologie des Universitätsspitals Zürich und der ETH unterstützt werde. Unser langfristiges Ziel ist, herauszufinden, wie psychische Störungen entstehen und natürlich wie man diese verhindern kann. Denn nicht nur Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheiten und Essstörungen kommen aus dem Darm, sondern auch Depression, Autismus, posttraumatische Belastungsstörung, Schizophrenie und Demenz.

Buchtipp

Über den Autor Prof. Dr. Gregor Hasler - Er ist Psychiater, Psychotherapeut, Neurowissenschaftler und Chefarzt Universitätsklinikum Fribourg.

Unterhaltsame Fakten aus dem Buch:

  • Mit 32 m2 ist die Darmfläche fast so gross wie ein Badmintonplatz.
  • Im Darm leben bis zu 100 Billionen Mikroorganismen – das ist fast so viel wie die Menge der ganzen anderen Körperzellen zusammen. Die Artenvielfalt wird auf 1000 verschiedene Arten geschätzt.
  • Der Dickdarm ist die am dichtesten besiedelte Region auf dem Planeten.
  • Die Darmmikroben liefern ca. 10 % des täglichen Energiebedarfs und sind für das Immunsystem enorm wichtig.
  • Aufgrund der Zusammensetzung der Darmbakterien werden manche Menschen auch vom Salat dick.
Buchtipp: Der andere Anti-Demenz-Ratgeber

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Hören und Gehirn

Interview mit Prof. Dr. Kessler

Wie ein fittes Gehör einer Demenz entgegenwirken kann. Viele Menschen haben Angst vor Demenz, doch die neueste Forschung zeigt eine Reihe an präventiven Möglichkeiten, mit denen man das eigene Demenzrisiko senken kann. Die Erkenntisse sind erstaunlich: Die bedeutendste Rolle spielt das eigene Gehör.

Herr Kessler, Sie sind seit über 40 Jahren in der Demenzforschung tätig. Wir vermuten es gibt kein Wundermittel gegen das Altern, aber Fragen schadet bekanntlich nicht.

Prof. Dr. Kessler ist seit über 40 Jahren in der Demenzforschung tätig. In seinem Buch «Der andere Anti-Demenzratgeber»
beschreibt er provokant, wie man einer Demenz vorbeugen kann, unter anderem mit einem guten Gehör.

Ein Zaubertrank ist mir leider unbekannt, aber wir können das Beste daraus machen und versuchen, gesund zu altern. Das Altern ist ein bunter Mix aus Genen, Lebensumständen, Krankheiten und psychischen Ereignissen. Sie können so alt sein, wie auf Ihrem Ausweis steht,  aber wer sagt, dass Sie so aussehen müssen? Es gibt ein soziologisches Alter, das von der Gesellschaft diktiert wird, und das psychologische Alter, das von Ihrem eigenen Empfinden abhängt. Und lassen Sie uns nicht vergessen, dass Ihr Alter auch davon abhängt, wie selbstständig und unabhängig Sie sind – das funktionale Alter. Gesundes Altern wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst wie z. B ausreichende Bewegung, gesunde Ernährung, soziale Interaktion, geistige Aktivität, psychische Gesundheit, ausreichend Schlaf und den Humor sollten Sie auch nicht vergessen.  

Warum werden wir im Alter eigentlich vergesslicher?

Im Alter kommt es zu mannigfaltigen Veränderungen im Gehirn: Es kann zu einem Verlust von Synapsen (Kontaktstellen zwischen Nervenzellen) kommen, neuronale Netzwerke können sich ausdünnen, Neuronen können auch verschwinden und es kann zu einer möglichen Transmitterreduktion kommen, die mit Veränderungen geistiger Funktionen einhergehen. Dabei bleibt das Altgedächtnis relativ stabil („first in, last out“), während der Erwerb von neuen Informationen aufgrund der oben genannten biochemischen und neuropathologischen Veränderungen erschwert ist. Diese Veränderungen gehören zu einem normalen Alterungsprozess und sind kein Zeichen für eine Erkrankung. Die Grenzziehung zwischen altersgemäßen geistigen Abbau und einer beginnenden Demenz ist jedoch sehr schwierig zu ziehen.  

Was ist eine Demenz?

Eine Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, die mit kognitivem Abbau, Verhaltensänderungen, Persönlichkeitsänderungen und eingeschränkten Alltagsaktivitäten einhergeht. Sie sind ihren Wesen nach progressiv verschlechternd und derzeit nicht ursächlich heilbar, aber behandelbar. Es gibt verschiedene Demenzformen, die bekannteste ist die Alzheimer Demenz. Eine Demenz kann einerseits durch nicht-modifizierbare Risikofaktoren wie z. B. Gene und Geschlecht beeinflusst werden. Jedoch gibt es auch präventive Maßnahmen wie Bewegung, Ernährung oder sozialer Kontakt, aber auch wichtige körperliche Regularien wie kardiovaskuläre Erkrankungen, mit denen man das Demenzrisiko um etwa 40 % reduzieren kann. In den letzten Jahren zeigte sich, Hörverlust im mittleren Lebensalter als wichtigster modifizierbarer Risikofaktor einer Demenz.

Das Gehör hat also etwas mit dem Gehirn zu tun?

Ja, wir nehmen unsere Welt mit all unseren Sinnen wahr. Die für uns wohl relevantesten Sinne sind das Hören und das Sehen. Wenn der sensorische Input reduziert wird oder gar ausbleibt, ändert sich das Gehirn und der Erwerb neuer Informationen und die für das Gehirn so notwendige Stimulanz wird mit allen neurophysiologischen Konsequenzen geändert. Bei Erkennen von Hörminderung lässt sich relativ leicht Abhilfe schaffen, was nicht für alle Risikofaktoren der Demenzprävention gilt.

Wie kann ein gutes Gehör dazu beitragen, um geistig fit zu bleiben?

Neuere Studien belegen, dass vor allem die Hörminderung um das 40. Lebensjahr besonders relevant für eine Demenzprävention ist, aber natürlich ist ein gutes Gehör für jedes Lebensalter relevant und notwendig. Sie sollten immer dann überprüfen, wenn Sie das Gefühl haben, Sie hören weniger als andere Personen, können Gespräche nicht mehr richtig verfolgen, wenn Sie Probleme haben etwas zu verstehen, wenn mehrere Leute durcheinanderreden und auch beim Telefonieren können Sie bereits sehr früh eine Hörminderung feststellen.

Warum kann Schwerhörigkeit zu Demenz führen?

Die genauen Abläufe lassen sich noch nicht erklären, aber drei Hypothesen werden in der Forschung immer wieder angeführt. Zum einen nimmt man an, dass verminderte Umweltreize aufgrund des Hörverlusts sich negativ auf die Gehirnstruktur auswirken. Zum anderen besteht aufgrund des Hörverlust ein erhöhter Bedarf an kognitiven Ressourcen für das Zuhören, welcher für andere Aspekte wie das Gedächtnis oder die Aufmerksamkeit nicht mehr zur Verfügung steht. Der dritte Mechanismus besagt, dass eine gemeinsame neuropathologische Änderung im Gehirn vorliegt, die zur Schwerhörigkeit und Demenz führt.

Ab wann sollte man ein Hörgerät nutzen?

Bestehen im Alltag Schwierigkeiten, Telefongesprächen oder Gesprächen mit mehreren Personen, die durcheinanderreden, zu folgen oder müssen Personen mehrfach Dinge wiederholen, damit Sie diese verstehen, sollten Sie eine Hörminderung abklären. Bei jedem Grad an Hörbeeinträchtigung, die von der Norm abweicht, ist die Verwendung eines Hörgeräts sinnvoll.

Wie kann ein Gehörtraining helfen, geistig fit zu bleiben?

Ein Gehörtraining kann sowohl auf die Stimulation auditiver und geistiger Fähigkeiten abzielen und ist dementsprechend unter Berücksichtigung des Hörverlusts auch weitestgehend ein kognitives Training. Eine Gehörtherapie kann dabei helfen, das Gehirn zu stimulieren und zu fordern. Neben der kognitiven und auditiven Stimulation lernen Sie auch besser mit Alltagsereignissen umzugehen und auch das Wohlbefinden kann dadurch gesteigert werden.

Was können Sie Menschen empfehlen, die Angst vor einem Hörgerät haben oder ein Hörgerät nicht tragen wollen?

Leider sind Hörgeräte immer noch mit einem Stigma verbunden, die mit Stereotypen wie verminderte Selbstständigkeit oder Gebrechlichkeit einhergehen. Allerdings werden diese falschen Vorstellungen zunehmend aufgegeben und die Relevanz und Nutzen von Hörgeräte verdeutlicht. In den letzten Jahren haben sich Hörgeräte funktional wie auch ästhetisch weiterentwickelt, wodurch die Akzeptanz erhöht wurde. Die Geräte sind kaum noch sichtbar, allerdings auch in der Handhabung komplexer als z. B. Brillen, weshalb ausführliche Beratung und Unterstützung bei der Adaption empfohlen wird.

Wie steht es um Ihr Gehör?

In meinem fortgeschrittenen Alter merke ich, dass ich alles Relevante um mich herum noch ausreichend wahrnehme. In komplexen Situationen jedoch, insbesondere wenn mehre Leute durcheinanderreden, Schwierigkeiten habe. Dies ist wahrscheinlich nicht nur auf das Gehör, sondern auch auf das Arbeitsgedächtnis, was mit zunehmenden Alter abnimmt, zurückzuführen. Bei Bedarf würde ich mich auch nicht scheuen ein Hörgerät zu tragen.

Liebe Herr Kessler, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Expertise!

Buchtipp

Der etwas andere Ratgeber zur Vorbeugung von Demenzerkrankungen packt uns bei unseren Schwächen und provoziert: Wir erfahren, was wir tun können, um unseren Weg zu einer Demenz zu beschleunigen. Wir können sogar wählen, ob wir den neurodegenerativen oder den vaskulären Weg bevorzugen. Für alle, die es satt haben, auf ihren kognitiven Verfall im Alter nur passiv zu warten: Wie wir mit Eigeninitiative und Selbstständigkeit den zügigen Abbau unseres Gedächtnisses fördern. Die Autoren geben Tipps und Anregungen aus den Bereichen Altern, Ernährung, Bewegung, Bildung, Sozialkontakte, Sinnesorgane, Alkohol, Drogen und Lifestyle.
Springer Verlag

Über Prof. Dr. Kessler

Klinischer Neuropsychologe (GNP)
Psychologischer Psychotherapeut
Demenzforscher und Autor