Interview mit Prof. Dr. Kessler
Herr Kessler, Sie sind seit über 40 Jahren in der Demenzforschung tätig. Wir vermuten es gibt kein Wundermittel gegen das Altern, aber Fragen schadet bekanntlich nicht.
Ein Zaubertrank ist mir leider unbekannt, aber wir können das Beste daraus machen und versuchen, gesund zu altern. Das Altern ist ein bunter Mix aus Genen, Lebensumständen, Krankheiten und psychischen Ereignissen. Sie können so alt sein, wie auf Ihrem Ausweis steht, aber wer sagt, dass Sie so aussehen müssen? Es gibt ein soziologisches Alter, das von der Gesellschaft diktiert wird, und das psychologische Alter, das von Ihrem eigenen Empfinden abhängt. Und lassen Sie uns nicht vergessen, dass Ihr Alter auch davon abhängt, wie selbstständig und unabhängig Sie sind – das funktionale Alter. Gesundes Altern wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst wie z. B ausreichende Bewegung, gesunde Ernährung, soziale Interaktion, geistige Aktivität, psychische Gesundheit, ausreichend Schlaf und den Humor sollten Sie auch nicht vergessen.
Warum werden wir im Alter eigentlich vergesslicher?
Im Alter kommt es zu mannigfaltigen Veränderungen im Gehirn: Es kann zu einem Verlust von Synapsen (Kontaktstellen zwischen Nervenzellen) kommen, neuronale Netzwerke können sich ausdünnen, Neuronen können auch verschwinden und es kann zu einer möglichen Transmitterreduktion kommen, die mit Veränderungen geistiger Funktionen einhergehen. Dabei bleibt das Altgedächtnis relativ stabil („first in, last out“), während der Erwerb von neuen Informationen aufgrund der oben genannten biochemischen und neuropathologischen Veränderungen erschwert ist. Diese Veränderungen gehören zu einem normalen Alterungsprozess und sind kein Zeichen für eine Erkrankung. Die Grenzziehung zwischen altersgemäßen geistigen Abbau und einer beginnenden Demenz ist jedoch sehr schwierig zu ziehen.
Was ist eine Demenz?
Eine Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, die mit kognitivem Abbau, Verhaltensänderungen, Persönlichkeitsänderungen und eingeschränkten Alltagsaktivitäten einhergeht. Sie sind ihren Wesen nach progressiv verschlechternd und derzeit nicht ursächlich heilbar, aber behandelbar. Es gibt verschiedene Demenzformen, die bekannteste ist die Alzheimer Demenz. Eine Demenz kann einerseits durch nicht-modifizierbare Risikofaktoren wie z. B. Gene und Geschlecht beeinflusst werden. Jedoch gibt es auch präventive Maßnahmen wie Bewegung, Ernährung oder sozialer Kontakt, aber auch wichtige körperliche Regularien wie kardiovaskuläre Erkrankungen, mit denen man das Demenzrisiko um etwa 40 % reduzieren kann. In den letzten Jahren zeigte sich, Hörverlust im mittleren Lebensalter als wichtigster modifizierbarer Risikofaktor einer Demenz.
Das Gehör hat also etwas mit dem Gehirn zu tun?
Ja, wir nehmen unsere Welt mit all unseren Sinnen wahr. Die für uns wohl relevantesten Sinne sind das Hören und das Sehen. Wenn der sensorische Input reduziert wird oder gar ausbleibt, ändert sich das Gehirn und der Erwerb neuer Informationen und die für das Gehirn so notwendige Stimulanz wird mit allen neurophysiologischen Konsequenzen geändert. Bei Erkennen von Hörminderung lässt sich relativ leicht Abhilfe schaffen, was nicht für alle Risikofaktoren der Demenzprävention gilt.
Wie kann ein gutes Gehör dazu beitragen, um geistig fit zu bleiben?
Neuere Studien belegen, dass vor allem die Hörminderung um das 40. Lebensjahr besonders relevant für eine Demenzprävention ist, aber natürlich ist ein gutes Gehör für jedes Lebensalter relevant und notwendig. Sie sollten immer dann überprüfen, wenn Sie das Gefühl haben, Sie hören weniger als andere Personen, können Gespräche nicht mehr richtig verfolgen, wenn Sie Probleme haben etwas zu verstehen, wenn mehrere Leute durcheinanderreden und auch beim Telefonieren können Sie bereits sehr früh eine Hörminderung feststellen.
Warum kann Schwerhörigkeit zu Demenz führen?
Die genauen Abläufe lassen sich noch nicht erklären, aber drei Hypothesen werden in der Forschung immer wieder angeführt. Zum einen nimmt man an, dass verminderte Umweltreize aufgrund des Hörverlusts sich negativ auf die Gehirnstruktur auswirken. Zum anderen besteht aufgrund des Hörverlust ein erhöhter Bedarf an kognitiven Ressourcen für das Zuhören, welcher für andere Aspekte wie das Gedächtnis oder die Aufmerksamkeit nicht mehr zur Verfügung steht. Der dritte Mechanismus besagt, dass eine gemeinsame neuropathologische Änderung im Gehirn vorliegt, die zur Schwerhörigkeit und Demenz führt.
Ab wann sollte man ein Hörgerät nutzen?
Bestehen im Alltag Schwierigkeiten, Telefongesprächen oder Gesprächen mit mehreren Personen, die durcheinanderreden, zu folgen oder müssen Personen mehrfach Dinge wiederholen, damit Sie diese verstehen, sollten Sie eine Hörminderung abklären. Bei jedem Grad an Hörbeeinträchtigung, die von der Norm abweicht, ist die Verwendung eines Hörgeräts sinnvoll.
Wie kann ein Gehörtraining helfen, geistig fit zu bleiben?
Ein Gehörtraining kann sowohl auf die Stimulation auditiver und geistiger Fähigkeiten abzielen und ist dementsprechend unter Berücksichtigung des Hörverlusts auch weitestgehend ein kognitives Training. Eine Gehörtherapie kann dabei helfen, das Gehirn zu stimulieren und zu fordern. Neben der kognitiven und auditiven Stimulation lernen Sie auch besser mit Alltagsereignissen umzugehen und auch das Wohlbefinden kann dadurch gesteigert werden.
Was können Sie Menschen empfehlen, die Angst vor einem Hörgerät haben oder ein Hörgerät nicht tragen wollen?
Leider sind Hörgeräte immer noch mit einem Stigma verbunden, die mit Stereotypen wie verminderte Selbstständigkeit oder Gebrechlichkeit einhergehen. Allerdings werden diese falschen Vorstellungen zunehmend aufgegeben und die Relevanz und Nutzen von Hörgeräte verdeutlicht. In den letzten Jahren haben sich Hörgeräte funktional wie auch ästhetisch weiterentwickelt, wodurch die Akzeptanz erhöht wurde. Die Geräte sind kaum noch sichtbar, allerdings auch in der Handhabung komplexer als z. B. Brillen, weshalb ausführliche Beratung und Unterstützung bei der Adaption empfohlen wird.
Wie steht es um Ihr Gehör?
In meinem fortgeschrittenen Alter merke ich, dass ich alles Relevante um mich herum noch ausreichend wahrnehme. In komplexen Situationen jedoch, insbesondere wenn mehre Leute durcheinanderreden, Schwierigkeiten habe. Dies ist wahrscheinlich nicht nur auf das Gehör, sondern auch auf das Arbeitsgedächtnis, was mit zunehmenden Alter abnimmt, zurückzuführen. Bei Bedarf würde ich mich auch nicht scheuen ein Hörgerät zu tragen.
Liebe Herr Kessler, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Expertise!
Buchtipp
Über Prof. Dr. Kessler
Klinischer Neuropsychologe (GNP)
Psychologischer Psychotherapeut
Demenzforscher und Autor